26. März 2012

Die verstummte Stimme des Volkes



"L'Essor" heisst die grösste Tageszeitung in Mali. Sie erscheint in der Hauptstadt Bamako und gehört dem Staat, also dem Volk, und wird von der Regierung kontrolliert, also nicht unbedingt vom Volk. Das Blatt nennt sich selber "La Voix du Peuple", die Stimme des Volkes. Das ist ein hoher Anspruch in einem Land mit 70% Analphabetismus und eher noch mehr Armut. Die wichtigsten Medien in Mali sind denn auch die unzähligen Radiostationen, wo es viel Musik und ein bisschen Information gratis gibt. Die Zeitungen schaffen nur selten auf eine Auflage von mehr als 5'000 Exemplaren.

Seit letztem Donnerstag, als Offiziere der Armee die Regierung stürzten, versuchte ich mich täglich auch auf der Internetseite von "L'Essor" aus erster Hand über die politischen Wirren in Mali zu informieren. Leider konnte ich in der "Stimme des Volkes" keine einzige Zeile über den Umsturz lesen, keine einzige. Darüber wollte ich heute Nachmittag eigentlich bloggen, mit ein paar aktuellen screenshots der Onlineausgabe des Blattes. Das geht nun leider nicht mehr. www.essort.gov.ml kann nicht mehr erreicht werden. Die neue Regierung hat die Zeitung heute Mittag offenbar vom Netz genommen und die Stimme des Volkes bleibt vorderhand stumm. Affaire à suivre.

Umsturz in Mali: Wir helfen weiter!

Am frühen Morgen des 22. März haben Teile der Armee die malische Regierung gestürzt und sich als neue Machthaber eingesetzt. Die aktuelle Lage, und wie es politisch weiter geht, ist zurzeit unklar. Insbesondere ist ungewiss, ob die für den nächsten Monat angesetzten Wahlen stattfinden werden oder nicht.



Die Hilfe von Caritas Schweiz für die unter der Dürre leidenden und hungernden Menschen in den ländlichen Regionen des Landes ist durch den Putsch der Offiziere bislang nicht beeinträchtigt worden. Die Vorbereitungen für die Lebensmittel- und Saatgutverteilungen ab April laufen weiter plangemäss. Ob und wie die politischen Entwicklungen insbesondere die Einkaufspreise für Hilfsgüter im malischen Grosshandel beinflussen werden, kann zurzeit nicht abgeschätzt werden.

16. März 2012

Apropos schon wieder Hunger...

Früher diese Woche rief mich ein Journalist an. Irgendwann im Gespräch fragte er mich, weshalb in Mali denn jedesmal, wenn die Ernte mal nicht so gut ist, gleich eine Katastrophe droht. Nach so vielen Erfahrungen mit Dürre, Heuschreckenplagen, Überschwemmungen und anderen Schrecklichkeiten, müsste man in dem Land doch eigentlich längst damit umgehen können und Rezepte kennen, wie man Hungersnöten vorbeugen kann.



Die Frage ist berechtigt und liegt bei den regelmässig wiederkehrenden Hungersnöten auf der Hand. Die Antwort aber auch. In Mali gibt es nur eine jährliche Regenzeit, die maximal drei Monate dauert. Manchmal, immer öfter, auch kürzer. Und in vielen Gegenden bedeutet drei Monate Regenzeit auch nur, dass es jeden Tag eine Stunde oder vielleicht zwei Wasser vom Himmel gibt. Und wenn es dann doch einmal richtig regnet, kommt er oft nicht schön regelmässig, so wie es die Felder gerne haben. Oft schüttet es dann so heftig, dass das Wasser von den ausgetrockneten Böden abgewiesen wird und es zu bedrohlichen Überschwemmungen kommt. Das sind andere Realitäten als in Europa. Dass das riesige Mali, eines der absolut ärmsten Länder der Welt, über einen Staatshaushalt in der ungefähren Höhe des Budgets eines mittleren Schweizer Kantons verfügt, ist der andere Teil der Antwort auf die Frage nach der in der Tat frustrierenden Regelmässigkeit von Hungersnöten im Sahelstaat Mali.

Reis, Mais, Zibele und Härdöpfel

Noch stirbt in Mali niemand an Hunger. Die Vorräte sind aber aufgrund der letzten schwachen Ernte und der fehlenden Niederschläge aus. Zudem steigen die Preise für Nahrungsmittel immer noch steil an. Alle Experten und spezialisierten Organisationen wie das Welternährungsprogramm rechnen mit dem Schlimmsten schon in zwei, drei Monaten. Hilfe braucht es jetzt, nicht wenn es zu spät ist.
Deshalb sind wir in den letzten zwei Wochen übers Land gereist, haben uns die Bescherung angeschaut, Gespräche geführt, die Lage beurteilt schliesslich mit lokalen Partnern konkrete Nothilfe aufgegleist, die nicht erst wenn es zu spät ist, sondern sofort eingeleitet werden kann.



Die Bedürfnisse sind in allen Gebieten, die unter der Dürre leiden, ähnlich. Wie Caritas helfen will, kann deshalb gut an einem Beispiel erklärt werden. Ich versuche es am Beispiel der ländlichen Region San, die etwa 450 Kilometer östlich der Hauptstadt Bamako liegt:

In Verwaltungsbezirk San hilft Caritas 27 Dörfern mit Lebensmitteln und Saatgut. Konkret werden Reis und Mais verteilt. Nötig haben die Hilfe in diesen Dörfern alle Familien. Einige verfügen aber noch über minimale eigene Mittel. Sie erhalten die Lebensmittel deshalb auch nicht einfach geschenkt, sondern gegen einen stark reduzierten Preis, welcher der Hälfte des Einkaufspreises entspricht. Damit wird einerseits den steigenden Lebensmittelpreisen entgegengewirkt, andererseits leisten damit „Bessergestellte“ einen Solidaritätsbeitrag zugunsten noch ärmerer Familien. Mit dem Erlös aus den subentionierten Verkäufen kann wiederum Mais und Reis weitere Bedürftige eingekauft werden.

Die Lebensmittelverteilung wird mit einem sogenannten „Food for Work“-Programm verknüpft. Daran können sich Familien mit arbeitsfähigen Mitgliedern beteiligen, die als Gegenleistung für die Mitarbeit an Projekten für das Gemeinwohl Lebensmittel beziehen können.

150 bedürftige Haushalte mit Ackerland erhalten zudem verbessertes Saatgut für den Anbau von Hirse und Bohnen, das auch unter widrigen klimatischen Bedingungen gute Resultate verspricht. Die Bauern verpflichten sich, 50% der ersten Ernte als neues Saatgut wieder zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise soll nach und nach eine nachhaltige Reserve an Saatgut aufgebaut werden, die es den Gemeinschaften ermöglicht, auch längere Perioden von Lebensmittelknappheit ohne Hunger zu überstehen. Dieser Teil des Projektes ist auch deshalb wichtig, weil viele Familien in den letzten Monaten aus Hunger und mangels Hilfe von aussen ihre Saatgutvorräte aufgegessen haben.

In vier Dörfern unterstützt Caritas Schweiz auch Projekte für antizyklische Landwirtschaft. Insgesamt 120 Familien erhalten Saatkartoffeln und –zwiebeln und Unterstützung bei der Vorbereitung der Pflanzbeete. Mit dem Anbau von Kartoffeln und Zwiebeln am Ende der Regensaison im September und der Ernte im März, soll die Ernährungssicherheit auch in den klimatisch kritischen Frühlingsmonaten verbessert werden.

11. März 2012

On the road again

Mali ist ziemlich genau 30 mal so gross wie die Schweiz. Die Entfernungen von A nach B sind ebenfalls mindestens gefühlte 30 mal grösser. Um Leute zu treffen oder Projekte zu besuchen, sitzt man oft und lange im Auto.



Die Landschaft lenkt selten ab, sie ist eher eintönig, die holprigen Strassen sind stundenlang fast schnurgerade. Viel Verkehr gibt es nicht, aber wenn, dann wird es gerne schnell brenzlig. Zum Beispiel beim Überholen.



Alle vielleicht zwanzig, dreissig Kilometer gibt es ein Dorf an der Strasse oder eine Schar Händlerinnen an einem Kontrollposten der Polizei.



Gestern kauften wir ein paar schlanke Knollen frischen Manjok. Madou, mein Fahrer meint, den könne man auch roh essen. Schälen müsse man ihn aber schon. Er kann den Manjok behalten. Ich habe noch zwei Orangen von einem früheren Halt. Die schmecken auch. Nach dem Einkaufen müssen wir noch tanken. Das geht hier so:



Aus einer grossen Plastikvorratsflasche wird der Diesel via eine geköpfte, umgekehrte Pet-Flasche mit eingelegtem Netzli als Filter in den Tank geleert. Dann fahren wir weiter. Stundenlang schnurgerade, immer der Sonne hinter dem Nebel aus Sand entgegen.

Schon wieder Hunger

So, jetzt habe ich einen Moment Internet. Es ist Sonntagmorgen und der Wind hat die schweren Sandwolken, die seit Tagen über Mali liegen und die Landschaft in ein trübes Zwielicht versetzen, die die Augen reizen und die Nasen- und Ohrenlöcher verstopfen, ein bisschen verweht.



Zum ersten Mal seit letztem Mittwoch sehe ich heute die Sonne wieder. Es gibt wieder Internetsichtkontakt zwischen meiner Boden- und der Antennenstation.

Im Sahel hat es seit Monaten viel zu wenig oder gar nicht geregnet. Die Ernten sind dramatisch zurückgegangen oder ganz ausgefallen. Es droht - wieder einmal - eine Hungersnot. Bereits jetzt leiden zigtausend Menschen, vor allem in den ländlichen Regionen, an Mangelernährung und Folgekrankheiten. Das Welternährungsprogramm WFP/PAM hat die Welt aufgerufen, zu helfen.

Caritas Schweiz unterstützt die Entwicklung Westafrikas seit Jahrzehnten und hilft selbstverständlich auch in humanitären Notlagen. Auch in dieser. Und zum Beispiel in Mali, wo man mich hingeschickt hat, um mit der lokalen Partner-Caritas Nothilfeprojekte in zwei von der Dürre besonders betroffenen Regionen vorzubereiten.



In den Bezirken San und Mopti hilft Caritas in den nächsten Monaten mit Getreide, Mais und Reis. Diese Grundnahrungsmittel werden teilweise gegen Arbeitsleistungen abgegeben, im Fachjargon nennt man solche Projekte "Food for work". Kleinkinder und geschwächte Menschen erhalten Ergänzungsnahrung mit ausreichend Vitaminen. Es wird neues Saatgut abgegeben, denn in der Not hatten viele Familien keine Wahl und haben ihre Getreidesaat aufgegessen.
Mit antizyklischen Anbauprojekten - etwa Kartoffeln und Zwiebeln, die nicht zur gleichen Zeit wie das klimaanfällige Getreide geerntet werden - soll die Abhängigkeit vom einzigen grossen Regen im Jahr für die Zukunft verringert werden.



Die Menschen in dem Mali, das ich bisher gesehen habe, sind friedlich, freundlich, zurückhaltend und wirken sehr entspannt (was einen mit halblateinischem Temperament wie mich manchmal - ehrlich gesagt - auch kribbelig machen kann). In dem Mali, das ich nicht gesehen habe, im Norden, tobt seit ein paar Monaten ein wüster Krieg, der bereits weit über hunderttausend meist ganz junge Menschen in den Süden des Landes oder in die Nachbarländer Mauretanien, Burkina Faso, Algerien oder in den Niger vertrieben hat. Die Menschen, die in den umkämpften Regionen von Tombuctu, Gao oder Kidal und noch weiter im Norden ausharren und ebenso von der Dürre und dem Hunger betroffen sind, leiden doppelt. Ihnen zu helfen ist aber extrem schwierig. Und für europäische Zivilisten vor allem sehr gefährlich.

5. März 2012

Habt Geduld

Ja, ich bin in Mali. In der Gegend des Städtchens San, wo alles staubtrocken ist und die Menschen hungrig sind. Es gäbe hier eigentlich sogar Internet. Bloss ist es fast immer ausgeschaltet. Mit dem Handy über eine Snailmailtelifonverbindung zu bloggen, ist denn doch ziemlich teuer. Deshalb: bitz Geduld bitte, es kommt dann schon was; irgendwann.