30. Mai 2012

Ali Zang, Rufer gegen die Wüste



Das ist Ali Zang. Der knapp Vierzigjährige kommt aus dem fruchtbaren Süden des Tschad. Seine Familie war nicht wohlhabend aber auch nicht arm. Alle sieben Geschwister besuchten die Schule und erhielten eine Ausbildung. Das war Alis Vater wichtiger als drei Mahlzeiten am Tag. Ali studierte Agronomie und Volkswirtschaft im Senegal und in Frankreich. Nach dem Studium kehrte er nach Hause zurück. Heute lebt er mit seiner Frau, seinen zwei Kindern und vier weiteren Verwandten in der Hauptstadt N’Djaména. Ali Zang ist Regionalleiter der Caritas Partnerorganisation Acord und damit zuständig für die Länder Tschad und Kamerun. Acord gehört zu den wichtigsten NGO’s in Westafrika. Die Organisation betreut Projekte für mehr Ernährungssicherheit in fast allen Ländern der Region. Neben dem Tschad arbeitet Caritas Schweiz auch in Mali mit Acord zusammen.

Bereits zum dritten Mal in den letzten zehn Jahren ist in diesem Frühling eine Hungersnot über den Sahel gekommen. Neben dem Ausbleiben von Regen bedrohen auch Heuschrecken und riesige Vogelschwärme immer wieder die Getreidefelder und Ernten der Bauern. Vor allem die Vögel, die im Volksmund „mange mil“ – Hirsefresser – genannt werden, machen den Menschen zu schaffen. Zwar sind sie winzig klein wie der europäische Zaunkönig, aber wenn sie millionenfach einfallen, bleibt für die Dörfer nicht mehr viel übrig. Das müsste nicht sein, sagt Ali Zang: „Wenn die Leute rechtzeitig über drohende Gefahren Bescheid wüssten, könnte viel Leid vermieden werden“. Überall wo er hinkommt im Land, setzt sich der Acord-Chef energisch für die Errrichtung eines lokalen „Frühwarnsystems“ ein, damit die Gemeinden in Zukunft nicht mehr ganz so schutzlos den Launen der Natur ausgesetzt sind wie heute, sondern rechtzeitig auf die Bedrohungen reagieren könnten.

So wie auch in der Schweiz für die Bauern der tägliche Wetterbericht essentiell ist, können die Bauern im Tschad mit den richtigen Prognosen über Niederschlagsmengen, Informationen über nahende Heuschrecken- oder Vogelzüge, aber auch mit Nachrichten über die Verfügbarkeit und die Preisentwicklung von Lebensmitteln auf den Märkten besser planen und vorsorgen.

Der Tschad ist ähnlich wie Frankreich gegliedert und in 22 Regionen aufgeteilt. Diese bestehen jeweils aus einer Anzahl Départements, die ihrerseits in Sub-Präfekturen gegliedert sind. Jede Sub-Präfektur besteht schliesslich aus einer Anzahl Kantone, die als kleinste Verwaltungseinheit für die einzelnen Dörfer zuständig sind. In den Amtsstuben der Departemente werden viele Informationen gesammelt, die für eine wirkungsvolle Notfallplanung wichtig sind. Nur schaffen es diese Informationen oft nicht bis in die entlegenen Dörfer, wo es häufig weder Strassen noch Elektrizität und Telefone gibt. Umgekehrt sind die verfügbaren Informationen meist ungefährer Natur, da die Departemente ihrerseits kaum mit präzisen lokalen Informationen aus den Kantonen versorgt werden.  

Mit Hilfe von Caritas Schweiz fördern Ali Zang und Acord die Bildung von Dorfkomitees, die nach einem systematischen Kriterienkatalog Dorf, Felder und die Weideplätze des Viehs überwachen und die gesammelten Informationen an die Behörden in der Departementshauptstadt weitergeben, wo sie von Fachleuten ausgewertet werden. Die Departemente unterstützt Acord gleichzeitig bei der Einrichtung von Notfallplänen, mit denen den Bauern bei Gefahr beigestanden werden kann. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Informationen und Warnungen kommt auch den Radiostationen zu.

Informationen über Gefahren sind gut und recht, doch was helfen sie wirklich? Ali Zang nennt drei Beispiele: So könnten die Gemeinden aufgrund von Gefahrenmeldungen rechtzeitig Hilfe von den Behörden anfordern. Oder an Orten wo sich Vogelschwärme ankünden, könnten die Bauern eine Zeit lang Mais statt Hirse anbauen; den mögen die „mange mil“ nicht. Die Heuschrecken andererseits, „können wir mit frühen Informationen schon bei der Schwarmbildung bekämpfen. Damit würde nicht nur die Ernte gerettet, sondern auch der Umwelt Gutes getan. Weil so viel weniger Insektizid eingesetzt werden muss, als wenn der Schwarm schon unterwegs ist.“

Die Gärtnerinnen von Chawir


Das Dorf Chawir liegt im Kanton Migami in der Region Guéra im südlichen Zentrum des Tschad. Wie fast überall in der Gegend leben hier fast nur Frauen und Kinder. Von den 2'760 Einwohnern des Ortes sind nur 120 erwachsene Männer. Viele Frauen sind Wittwen oder geschieden. Ihre Männer im Bürgerkrieg oder in Gaddafis Libyen gefallen, oder ohne Nachricht weggegangen und die Familie zurückgelassen. Andere Frauen haben Männer, die sie auf die Erntezeit im Frühsommer in Chawir zurückerwarten. Sie waren nach der letzten Ernte in die Stadt gegangen um nach Arbeit zu suchen. Oder nach Libyen, was die grosse Not der Leute hier noch deutlicher veranschaulicht. Denn Libyen ist ein lebensgefährliches Pflaster. Tschadische Männer stehen dort noch immer als ehemalige Gaddafi-Söldner unter Generalverdacht. Auch in diesem Jahr werden die Männer von Chawir ihr Dorf nach der Erntezeit wohl wieder verlassen. Von den mageren Erträgen der Feldarbeit kann man hier kaum leben.

In Chawir gibt es eine Schule, eine Gesundheitsstation ohne Arzt und seit 2006 auch zwei grosse Gemeinschaftsgärten. 


Gegen 200 Frauen kümmern sich hier, meist mit Kindern und Kindeskindern Tag für Tag um die Pflanzbeete, die sie dem ausgetrockneten Boden abgerungen haben. Es gibt hier Kraut- und Blattgemüse, Karotten, Zwiebeln und allerei Kräuter. Die Gärten liegen günstig. Wasser für die Beete gibt es hier schon in 6 Metern Tiefe. Die beiden Brunnen, die zu dem Garten gehören, konnten in Handarbeit gebohrt und gebaut werden. Von den wenigen Männern, die es im Dorf gibt und mit Hilfe von Caritas und der Partnerorganisation Acord. 

Das Gemüse aus den Gärten ergänzt die einseitige und magere Kost im Dorf und trägt zu einer besseren Gesundheit bei. In besonders guten Zeiten können sich die Frauen mit dem Überschuss sogar auf dem Markt ein paar wenige Francs dazuverdienen. Das Geld brauchen sie wiederum für Lebensmittel oder neues Saatgut für ihren Garten.

Die Gärtnerinnen von Chawir sind organisiert. Sie sind Mitglied der offiziellen Gartenkommission ihres Ortes. 


Vorsitzende und damit die Chefgärtnerin von Chawir ist Fatima Dobio (rechts im Bild), eine junge, energische Frau, die nebst dem Garten und der Kommission sich auch um ihre zwei Ziegen, ein kleines Getreidefeld und natürlich um ihre mittlerweile sieben eigenen Kinder zu kümmern hat. 

Die Getreidebank von Game

 
Das Dorf Game liegt 15 Kilometer nördlich von Mongo, der Hauptstadt der Region Guéra im südlichen Zentrum des Tschad. Der Ort hat knapp 3'000 Einwohner, vor allem Frauen und noch mehr Kinder. 


 

In Game gibt es 27 verschiedene Frauenkommissionen, die das Alltagsleben im Ort organisieren. Für jedes wichtige Thema ist eine Frauenkommission zuständig. Es gibt eine Kommission für die Ziegenzucht, eine Kommission für Kinderernährung und eine Frauenkommission für die Alphabetisierung. Wie überall im ländlichen Tschad können auch hier über 80 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Eine Frauenkommission kümmert sich um den Erdnuss-, eine andere um den Sesamanbau. Es gibt kaum eine gesunde erwachsene Frau in dem Dorf, die nicht mindestens in einer Kommission mitarbeitet. In der Frauenkommission für den gemeindeeigenen Getreidespeicher sind es 24 Frauen. 


Die Vorsitzende und Chefverwalterin des Lagerhauses heisst Halime N’Dimet. Sie ist gleichzeitig eine der ältesten Frauen im Dorf und wird als Weise hoch geachtet.

Der Getreidespeicher funktioniert wie eine Bank. Die Familien bringen ihr eigenes Getreide zum Magasin und erhalten dafür eine Quittung. Wann immer sie eine Portion ihrer Hirse oder ihres Sorghums benötigen, können sie es sich auf der Basis ihres Guthabens „auszahlen“ lassen. 


Allerdings anders als bei landläufigen Banken werden in Game keine Zinsen bezahlt. Im Gegenteil können auch mittellose Dorfbewohner in Not Getreide erhalten. Aus den Beständen, die die Kommission für die Bewirtschaftung des Lagerhauses von ihren „Kunden“ als „Bearbeitungsgebühr“ einbehält. 
Die Frauenkommission für den Getreidespeicher sorgt nebst der Buchführung über den Getreideverkehr vor allem für Sauberkeit und Sicherheit. Nicht die Mäuse sind dabei die grösste Herausforderung und Bedrohung für das eingelagerte Korn, sondern die Autopiste, die mitten durch Game führt. 


Denn wo es Strassen gibt, sind auch Diebe. Game hat deshalb auch eine Sicherheitskommission. Die ist allerdings keine Frauen-, sondern eine Männerkommmission.

Caritas Schweiz unterstützt gemeinsam mit der tschadischen Partnerorganisation Acord die zuständige Frauenkommission mit Ausbildung und Tools für die Lagerbewirtschaftung.

Sorghum in Al Hadj Derib


Noch ist die grosse Hungersnot im Sahel an vielen Orten erst als Bedrohung spürbar. In Al Hadj Derib ist sie angekommen. Schon seit April können sich die Menschen hier nicht mehr selber ernähren. Die Vorräte sind aufgebraucht. Das 450 Seelendorf abseits aller Verkehrswege liegt ungünstig. Der Boden gibt auch in guten Zeiten nicht viel her, der Grundwasserspiegel liegt in fernen 60 Metern Tiefe. Die Spuren der Not sind gut sichbar. Ausgemergelte, schwache Alte, dünne Kinder mit aufgequollenen Bäuchen. Caritas Schweiz hilft in Al Hadj Derib mit der Abgabe von Sorghum. Damit die Menschen bis zur nächsten Ernte im späteren Sommer durchhalten und es wenigstens eine Mahlzeit täglich für alle gibt.


Sorghum ist das Hauptnahrungsmittel in der Region. Bei uns ist diese Getreidesorte fast unbekannt. In Europa findet man sie nur in den südlichsten Zonen, in der Schweiz am ehesten als Vogelfutter. Weltweit weist Sorghum aber nach Weizen, Mais, Reis und Gerste die fünftgrösste Anbaufläche auf. Sorghum kann vielfältig verwendet und zubereitet werden. Zum Backen von Brot, für Suppen oder auch als Brei. 


Die meisten Familien von Al Hadj Derib verfügen über einen halben bis einen Hektar Land. Ein paar wohlhabendere Haushalte bewirtschaften zwei oder drei Hektaren. Mehr hat niemand. Eine halbe Hektare ergibt bei guter Ernte etwa 400 Kilogramm Sorghum. Das reicht, je nach Grösse der Familie, immer nur höchstens knapp bis zur nächsten Ernte. In einem schlechten Jahr wie diesem aber natürlich bei weitem nicht.

Auf dem Markt kostet das Kilo Sorghum übrigens etwa 30 Euro-Cents. Eine achtköpfige Familie in der Stadt, mit Einkommen und drei Mahlzeiten, verkocht pro Tag etwa drei bis vier Kilogramm. Als Beilage. In Al Hadj Derib reicht es für die gleiche Familie ohne Einkommen für deutlich weniger als die Hälfte. Als Hauptmahlzeit ohne weitere Beilagen, ausser vielleicht einer dünnen grünen Sauce aus Blättern und Chili. Und wie gesagt, dies in guten Zeiten.

Die Landmaschinenfabrik von Bokoro


Bokoro ist die Hauptstadt des Département Dababa, etwa dreihundert Kilometer östlich der Landeshauptstadt N’Djaména. Mehrstöckige Häuser, einen farbenprächtigen Markt, Läden oder Gaststuben sucht man hier vergeblich. Ausser ein paar Bretterverschlägen, wo Trinkwasser in Flaschen, trockene Bisquits und das Allernötigste für den Haushalt gekauft werden kann, gibt es hier nichts. Bokoro ist das bettelarme Verwaltungszentrum einer von Bauern und Wanderhirten besiedelten Region, so gross wie bei uns die Romandie. Elektrizität gibt es hier, wenn überhaupt, nur stundenweise. Aber eine Fabrik gibt es. Oder mehr eine grosse Werkstatt. Die „Entreprise de Conception et d’Appui à l’Artisanat“, kurz ECAA.


1998 wurde die Werkstatt eröffnet. Der Anstoss dazu kam damals von der Caritas-Partnerorganisation Acord, welche die ECAA vorerst als Projekt von Bauern und Handwerkern aufzog. Später wurde die Werkstatt als Unternehmen privatisiert und ist heute eine Genossenschaft im Besitz verschiedener Bauern- und Handwerksvereinigungen. Auf dem etwa 2’000 Quadratmeter grossen Gelände der kleinen Fabrik werden auf Bestellung des nationalen Ernährungsprogramms der tschadischen Regierung veritable motorgetriebene Landwirtschaftsmaschinen gebaut, die dann den Bauern in der Region gegen eine kleine Nutzungsgebühr zur Verfügung gestellt werden. Den grössten Anteil an der Produktion bei der ECAA machen aber Werkzeuge wie Spaten oder Sägen und Kleingeräte wie Karren, einfache Pflüge und Sämaschinen aus. 



Diese Gerätschaften erleichtern den Bauern nicht nur die Arbeit auf dem Feld. Sie können damit vor allem auch die Erträge aus der Feldarbeit verbessern. Im Sahel ist es entscheidend, in der einzigen kurzen fruchtbaren Periode des Jahres möglichst viel aus dem Boden herauszuholen. Nur die allerwenigsten Bauern können sich jedoch die ECAA-Geräte leisten. Zusammen mit Acord kauft Caritas Schweiz deshalb Pflüge, Sämaschinen und Werkzeug und gibt sie zu einem stark reduzierten Preis weiter. Nicht an einzelne private Bauern, sondern an die lokalen Bauernvereinigungen zur gemeinschaftlichen Nutzung. 

9. Mai 2012

Die Kinder von Game

Ich bin nun seit einem Weilchen im Tschad. Gestern aus der Sahelzone zurückgekehrt. Gleiche Bilder wie in Mali: Felder trocken, Speicher leer, Menschen hungrig. Um die lange Zeit bis zum nächsten Regen und einer neuen Ernte mit zugekauften Lebensmitteln zu überbrücken, fehlt das Geld. In vielen Dörfern gibt es fast nur noch Frauen und Kinder. Die Männer sind in der Stadt auf der Suche nach Arbeit für ein bisschen Geld.
Nirgendwo in Afrika ist es so heiss wie im Tschad. Seit meiner Ankunft fiel das Thermometer nie unter 48 Grad, nachts nie unter 35. Weitab der Städte hatten wir weder Strom noch Ventilatoren. Die Klimaanlage in dem alten Auto, mit dem wir weit über tausend Kilometer über die Sandpisten holperten, war kaputt. Wenigstens ging die Strombuchse. So konnten wir die Telefone aufladen. Ich war aber bisher nicht in der Lage, mich hier zu melden. Am Tag unterwegs und auf Arbeit, abends zu müde, kaputt, finito. Nun bin ich wieder in der Hauptstadt N'Djamena, frisch geduscht und ausgeschlafen. Im Gepäck hab ich ein paar kleine Geschichten mitgebracht, die ich in der nächsten Zeit nach und nach auspacken werde.

Die Bilder in dem verwackelten iPhonefilmchen da unten sind aus dem Dorf Game im Osten des Landes. Caritas unterstützt dort die Gemeinde mit Saatgut und bei der sicheren Lagerung und Bewirtschaftung des geernteten Getreides. Der Kameramann im Bild gehört zum ORF-Team aus Wien, das uns auf der Reise begleitet hat. Das Leben in der Gegend ist unglaublich hart. Fremde sehen die Menschen selten. Einen Spass aus unserem Besuch machten sich vor allem die Kids von Game. Am Ende musste ich rennen, um sie wieder loszuwerden...

23. April 2012

Schwester Isabelle Digvidaï

Caritas Schweiz hilft neben Mali auch den vom Hunger bedrohten Menschen im Tschad. Caritas-Konsulentin Bettina Iseli ist kürzlich von einer Projektreise in dieses Sahel-Land zurückgekehrt. Im diesem Eintrag berichtet sie von einer beeindruckenden Begegnung.

Drei Tage lang sassen Repräsentanten der verschiedenen lokalen Caritas-Organisationen des Tschad zusammen, um ein gemeinsames Projekt für die Betroffenen der Nahrungsmittelkrise im Sahel auszuarbeiten. Die letzte Ernte war schlecht ausgefallen und bereits jetzt gehen die Vorräte zu Ende. Die nächste Ernte wird erst im Oktober erwartet.
Meine Aufgabe war es, die ganze Versammlung zu koordinieren.

Zehn Repräsentanten nahmen an dem Treffen teil. Sie waren aus dem gesamten Land angereist. Eine Teilnehmerin fiel mir besonders auf: Schwester Isabelle. Nicht nur, weil sie die einzige Frau war. Auch weil sie diejenige war, die die wichtigen Fragen stellte. Schwester Isabelle war für mich zuerst gar nicht als Schwester erkennbar. Erst bei näherem Hingucken konnte ich am Kreuz ihrer Kette ausmachen, dass sie einer katholischen Kongregation angehört. Oder habe ich aufgehorcht, weil alle anderen sie „Schwester“ nannten? Wie auch immer, Schwester Isabelle ist in der Gemeinde Lai im Süden des Landes, in der kleinsten aller lokalen Caritasorganisationen tätig. Caritas Lai besteht nur aus vier Personen, die die Menschen dort in der momentanen Krisensituation unterstützen.

Isabelle Digvidaï ist 30 Jahre jung, eine motivierte dynamische Person mit einer klaren Bestimmung in ihrem Leben. Aufgewachsen ist sie in einer afrikanischen Grossfamilie in Kamerun als jüngstes Mädchen mit drei Brüdern der selben Mutter. Ihr Vater hat noch elf weitere Kinder von anderen Frauen und etliche Frauen ohne weitere Kinder. Die Familie hatte für Isabelle vorgesehen, was in der Region für Mädchen üblich ist: Frühe Heirat, ein Leben an der Seite des Ehemannes, Mutter vieler Kinder. Isabelle aber sah für sich etwas anderes: Sie wollte studieren und in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten. Als Frau Karriere machen und eine Familie haben, war für ihre Familie undenkbar. Der Widerstand war heftig. Doch sie setzte sich gegen ihren Vater und ihre Brüder durch, ging an die Universität und studierte Soziologie und Management. Später trat sie der unkonventionellen Kongregation der „Filles de Jésu“. „Ich ziehe mich gerne gut an, wieso sollte ich das nicht mehr tun, wenn ich einer Kongregation beitrete?“ sagt sie, und „mein Handy verstecken, nur weil ich bei einem Interview für eine Kongregation war? Wieso denn auch, es ist doch mein Handy. Ich brauche es“.


Schwester Isabelle Digvidaï

In der Entwicklungszusammenarbeit hat Isabelle ihre Berufung gefunden. Dafür setzt sie sich mit zweihundertprozentigem Engagement ein. Das war auch in dem Workshop spürbar, in dem es darum ging Nothilfemassnahmen für die von der Nahrungskrise betroffenen Familien zu bestimmen. Am Ende der Veranstaltung hatten wir ein fertiges Projekt. Wir werden Nahrungsmittel und Saatgut verteilen. Auch in der Gemeinde Lai mit einem kleinen aber engagierten Team.

Ich bin beeindruckt von Schwester Isabelle, wie sie unbeirrt von äusseren Schwierigkeiten ihren Weg geht und sich bedingungslos einsetzt für ihre Landsleute, denen es schlechter geht als ihr selber.

5. April 2012

Elefantenplage



Elefanten sind herzig. Aber nicht immer lustig. In der Gegend von Douentza, in der auch Hombori liegt, sind sie für die Menschen sogar eine richtige Plage. hier trampeln die letzten grossen Herden, die es im Sahel überhaupt noch gibt, auf Jahrtausende alten Elefantenpfaden alles nieder, was die Menschen der widerborstigen Natur an Feldfrüchten abringen konnten. Ist auf den Äckern nichts mehr zu holen scheuen sich die Viecher nicht, auch in die Getreidespeicher der Bauern in den Dörfern einzubrechen. Elefanten haben einen dicken Bauch und entsprechend grossen Durst und werden, wenn in der Trockenzeit die natürlichen Wasserläufe ausgedörrt sind, zu einem ernsten Konkurrenten der Menschen an den Wasserstellen.
Bis vor wenigen Jahren ging das Nebeneinander von Elefanten und Menschen gut, weil es genügend Ressourcen gab. Mit dem rasanten Wachstum der Bevölkerung und dem seit ein paar Jahren harscher werdenden Klima, haben sich die Beziehungen der beiden Spezies deutlich verschlechtert. Zum Glück sind die Elefanten in Mali von Gesetzes wegen geschützt. Wären sie es nicht, gäbe es sie wohl bald nicht mehr.

Hombori



Durch die Kämpfe im Norden von Mali sind bisher schon über 200'000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben worden. Etwa die Hälfte sucht Schutz in den Nachbarländern Algerien, Niger, Burkina Faso oder Mauretanien, die andere Hälfte versucht sich in sicherere Gegenden im Landesinnern durchzuschlagen. Die kleine Stadt Hombori liegt an der Route aus dem Kriegsgebiet nach Süden und Westen.



Hombori ist bitterarm und wie fast der ganze Sahel von der Dürre geplagt. Nicht nur für die Menschen fehlen die Nahrungsmittel. Auch die Futter- und Wasservorräte für die Tiere sind fast aufgebraucht. Weit und breit ist kein Regen in Sicht. Die erschöpft und hungrig in Hombori ankommenden Flüchtlinge sind für den Ort eine zusätzliche Belastung.



Deshalb hilft Caritas auch hier und verteilt Hirse und Speiseöl. Damit kann die grosse akute Not der Bevölkerung von Hombori wenigstens ein bisschen gelindert werden.

26. März 2012

Die verstummte Stimme des Volkes



"L'Essor" heisst die grösste Tageszeitung in Mali. Sie erscheint in der Hauptstadt Bamako und gehört dem Staat, also dem Volk, und wird von der Regierung kontrolliert, also nicht unbedingt vom Volk. Das Blatt nennt sich selber "La Voix du Peuple", die Stimme des Volkes. Das ist ein hoher Anspruch in einem Land mit 70% Analphabetismus und eher noch mehr Armut. Die wichtigsten Medien in Mali sind denn auch die unzähligen Radiostationen, wo es viel Musik und ein bisschen Information gratis gibt. Die Zeitungen schaffen nur selten auf eine Auflage von mehr als 5'000 Exemplaren.

Seit letztem Donnerstag, als Offiziere der Armee die Regierung stürzten, versuchte ich mich täglich auch auf der Internetseite von "L'Essor" aus erster Hand über die politischen Wirren in Mali zu informieren. Leider konnte ich in der "Stimme des Volkes" keine einzige Zeile über den Umsturz lesen, keine einzige. Darüber wollte ich heute Nachmittag eigentlich bloggen, mit ein paar aktuellen screenshots der Onlineausgabe des Blattes. Das geht nun leider nicht mehr. www.essort.gov.ml kann nicht mehr erreicht werden. Die neue Regierung hat die Zeitung heute Mittag offenbar vom Netz genommen und die Stimme des Volkes bleibt vorderhand stumm. Affaire à suivre.

Umsturz in Mali: Wir helfen weiter!

Am frühen Morgen des 22. März haben Teile der Armee die malische Regierung gestürzt und sich als neue Machthaber eingesetzt. Die aktuelle Lage, und wie es politisch weiter geht, ist zurzeit unklar. Insbesondere ist ungewiss, ob die für den nächsten Monat angesetzten Wahlen stattfinden werden oder nicht.



Die Hilfe von Caritas Schweiz für die unter der Dürre leidenden und hungernden Menschen in den ländlichen Regionen des Landes ist durch den Putsch der Offiziere bislang nicht beeinträchtigt worden. Die Vorbereitungen für die Lebensmittel- und Saatgutverteilungen ab April laufen weiter plangemäss. Ob und wie die politischen Entwicklungen insbesondere die Einkaufspreise für Hilfsgüter im malischen Grosshandel beinflussen werden, kann zurzeit nicht abgeschätzt werden.

16. März 2012

Apropos schon wieder Hunger...

Früher diese Woche rief mich ein Journalist an. Irgendwann im Gespräch fragte er mich, weshalb in Mali denn jedesmal, wenn die Ernte mal nicht so gut ist, gleich eine Katastrophe droht. Nach so vielen Erfahrungen mit Dürre, Heuschreckenplagen, Überschwemmungen und anderen Schrecklichkeiten, müsste man in dem Land doch eigentlich längst damit umgehen können und Rezepte kennen, wie man Hungersnöten vorbeugen kann.



Die Frage ist berechtigt und liegt bei den regelmässig wiederkehrenden Hungersnöten auf der Hand. Die Antwort aber auch. In Mali gibt es nur eine jährliche Regenzeit, die maximal drei Monate dauert. Manchmal, immer öfter, auch kürzer. Und in vielen Gegenden bedeutet drei Monate Regenzeit auch nur, dass es jeden Tag eine Stunde oder vielleicht zwei Wasser vom Himmel gibt. Und wenn es dann doch einmal richtig regnet, kommt er oft nicht schön regelmässig, so wie es die Felder gerne haben. Oft schüttet es dann so heftig, dass das Wasser von den ausgetrockneten Böden abgewiesen wird und es zu bedrohlichen Überschwemmungen kommt. Das sind andere Realitäten als in Europa. Dass das riesige Mali, eines der absolut ärmsten Länder der Welt, über einen Staatshaushalt in der ungefähren Höhe des Budgets eines mittleren Schweizer Kantons verfügt, ist der andere Teil der Antwort auf die Frage nach der in der Tat frustrierenden Regelmässigkeit von Hungersnöten im Sahelstaat Mali.

Reis, Mais, Zibele und Härdöpfel

Noch stirbt in Mali niemand an Hunger. Die Vorräte sind aber aufgrund der letzten schwachen Ernte und der fehlenden Niederschläge aus. Zudem steigen die Preise für Nahrungsmittel immer noch steil an. Alle Experten und spezialisierten Organisationen wie das Welternährungsprogramm rechnen mit dem Schlimmsten schon in zwei, drei Monaten. Hilfe braucht es jetzt, nicht wenn es zu spät ist.
Deshalb sind wir in den letzten zwei Wochen übers Land gereist, haben uns die Bescherung angeschaut, Gespräche geführt, die Lage beurteilt schliesslich mit lokalen Partnern konkrete Nothilfe aufgegleist, die nicht erst wenn es zu spät ist, sondern sofort eingeleitet werden kann.



Die Bedürfnisse sind in allen Gebieten, die unter der Dürre leiden, ähnlich. Wie Caritas helfen will, kann deshalb gut an einem Beispiel erklärt werden. Ich versuche es am Beispiel der ländlichen Region San, die etwa 450 Kilometer östlich der Hauptstadt Bamako liegt:

In Verwaltungsbezirk San hilft Caritas 27 Dörfern mit Lebensmitteln und Saatgut. Konkret werden Reis und Mais verteilt. Nötig haben die Hilfe in diesen Dörfern alle Familien. Einige verfügen aber noch über minimale eigene Mittel. Sie erhalten die Lebensmittel deshalb auch nicht einfach geschenkt, sondern gegen einen stark reduzierten Preis, welcher der Hälfte des Einkaufspreises entspricht. Damit wird einerseits den steigenden Lebensmittelpreisen entgegengewirkt, andererseits leisten damit „Bessergestellte“ einen Solidaritätsbeitrag zugunsten noch ärmerer Familien. Mit dem Erlös aus den subentionierten Verkäufen kann wiederum Mais und Reis weitere Bedürftige eingekauft werden.

Die Lebensmittelverteilung wird mit einem sogenannten „Food for Work“-Programm verknüpft. Daran können sich Familien mit arbeitsfähigen Mitgliedern beteiligen, die als Gegenleistung für die Mitarbeit an Projekten für das Gemeinwohl Lebensmittel beziehen können.

150 bedürftige Haushalte mit Ackerland erhalten zudem verbessertes Saatgut für den Anbau von Hirse und Bohnen, das auch unter widrigen klimatischen Bedingungen gute Resultate verspricht. Die Bauern verpflichten sich, 50% der ersten Ernte als neues Saatgut wieder zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise soll nach und nach eine nachhaltige Reserve an Saatgut aufgebaut werden, die es den Gemeinschaften ermöglicht, auch längere Perioden von Lebensmittelknappheit ohne Hunger zu überstehen. Dieser Teil des Projektes ist auch deshalb wichtig, weil viele Familien in den letzten Monaten aus Hunger und mangels Hilfe von aussen ihre Saatgutvorräte aufgegessen haben.

In vier Dörfern unterstützt Caritas Schweiz auch Projekte für antizyklische Landwirtschaft. Insgesamt 120 Familien erhalten Saatkartoffeln und –zwiebeln und Unterstützung bei der Vorbereitung der Pflanzbeete. Mit dem Anbau von Kartoffeln und Zwiebeln am Ende der Regensaison im September und der Ernte im März, soll die Ernährungssicherheit auch in den klimatisch kritischen Frühlingsmonaten verbessert werden.

11. März 2012

On the road again

Mali ist ziemlich genau 30 mal so gross wie die Schweiz. Die Entfernungen von A nach B sind ebenfalls mindestens gefühlte 30 mal grösser. Um Leute zu treffen oder Projekte zu besuchen, sitzt man oft und lange im Auto.



Die Landschaft lenkt selten ab, sie ist eher eintönig, die holprigen Strassen sind stundenlang fast schnurgerade. Viel Verkehr gibt es nicht, aber wenn, dann wird es gerne schnell brenzlig. Zum Beispiel beim Überholen.



Alle vielleicht zwanzig, dreissig Kilometer gibt es ein Dorf an der Strasse oder eine Schar Händlerinnen an einem Kontrollposten der Polizei.



Gestern kauften wir ein paar schlanke Knollen frischen Manjok. Madou, mein Fahrer meint, den könne man auch roh essen. Schälen müsse man ihn aber schon. Er kann den Manjok behalten. Ich habe noch zwei Orangen von einem früheren Halt. Die schmecken auch. Nach dem Einkaufen müssen wir noch tanken. Das geht hier so:



Aus einer grossen Plastikvorratsflasche wird der Diesel via eine geköpfte, umgekehrte Pet-Flasche mit eingelegtem Netzli als Filter in den Tank geleert. Dann fahren wir weiter. Stundenlang schnurgerade, immer der Sonne hinter dem Nebel aus Sand entgegen.

Schon wieder Hunger

So, jetzt habe ich einen Moment Internet. Es ist Sonntagmorgen und der Wind hat die schweren Sandwolken, die seit Tagen über Mali liegen und die Landschaft in ein trübes Zwielicht versetzen, die die Augen reizen und die Nasen- und Ohrenlöcher verstopfen, ein bisschen verweht.



Zum ersten Mal seit letztem Mittwoch sehe ich heute die Sonne wieder. Es gibt wieder Internetsichtkontakt zwischen meiner Boden- und der Antennenstation.

Im Sahel hat es seit Monaten viel zu wenig oder gar nicht geregnet. Die Ernten sind dramatisch zurückgegangen oder ganz ausgefallen. Es droht - wieder einmal - eine Hungersnot. Bereits jetzt leiden zigtausend Menschen, vor allem in den ländlichen Regionen, an Mangelernährung und Folgekrankheiten. Das Welternährungsprogramm WFP/PAM hat die Welt aufgerufen, zu helfen.

Caritas Schweiz unterstützt die Entwicklung Westafrikas seit Jahrzehnten und hilft selbstverständlich auch in humanitären Notlagen. Auch in dieser. Und zum Beispiel in Mali, wo man mich hingeschickt hat, um mit der lokalen Partner-Caritas Nothilfeprojekte in zwei von der Dürre besonders betroffenen Regionen vorzubereiten.



In den Bezirken San und Mopti hilft Caritas in den nächsten Monaten mit Getreide, Mais und Reis. Diese Grundnahrungsmittel werden teilweise gegen Arbeitsleistungen abgegeben, im Fachjargon nennt man solche Projekte "Food for work". Kleinkinder und geschwächte Menschen erhalten Ergänzungsnahrung mit ausreichend Vitaminen. Es wird neues Saatgut abgegeben, denn in der Not hatten viele Familien keine Wahl und haben ihre Getreidesaat aufgegessen.
Mit antizyklischen Anbauprojekten - etwa Kartoffeln und Zwiebeln, die nicht zur gleichen Zeit wie das klimaanfällige Getreide geerntet werden - soll die Abhängigkeit vom einzigen grossen Regen im Jahr für die Zukunft verringert werden.



Die Menschen in dem Mali, das ich bisher gesehen habe, sind friedlich, freundlich, zurückhaltend und wirken sehr entspannt (was einen mit halblateinischem Temperament wie mich manchmal - ehrlich gesagt - auch kribbelig machen kann). In dem Mali, das ich nicht gesehen habe, im Norden, tobt seit ein paar Monaten ein wüster Krieg, der bereits weit über hunderttausend meist ganz junge Menschen in den Süden des Landes oder in die Nachbarländer Mauretanien, Burkina Faso, Algerien oder in den Niger vertrieben hat. Die Menschen, die in den umkämpften Regionen von Tombuctu, Gao oder Kidal und noch weiter im Norden ausharren und ebenso von der Dürre und dem Hunger betroffen sind, leiden doppelt. Ihnen zu helfen ist aber extrem schwierig. Und für europäische Zivilisten vor allem sehr gefährlich.

5. März 2012

Habt Geduld

Ja, ich bin in Mali. In der Gegend des Städtchens San, wo alles staubtrocken ist und die Menschen hungrig sind. Es gäbe hier eigentlich sogar Internet. Bloss ist es fast immer ausgeschaltet. Mit dem Handy über eine Snailmailtelifonverbindung zu bloggen, ist denn doch ziemlich teuer. Deshalb: bitz Geduld bitte, es kommt dann schon was; irgendwann.